Nachhaltig sein und wettbewerbsfähig bleiben – geht das?
Nachhaltig wirtschaften ist auch für die Südtiroler Industrie immer wichtiger. Ist dies aber mit der Wettbewerbsfähigkeit zu vereinbaren? Teil 2 vom Gespräch mit Prof. Erwin Rauch.
Vor wenigen Tagen haben wir mit Erwin Rauch, Stiftungsprofessor für smarte und nachhaltige Produktion an der Freien Universität Bozen, über Digitalisierung und Automation in der Industrie gesprochen (zum Artikel). Im zweiten Teil des Interviews geht es nun um das Thema wie Industrie nachhaltig und zugleich wettbewerbsfähig sein kann.
Prof. Rauch, sie beschäftigen sich auch mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Industrie. Europa hat hinsichtlich des ökologischen Wandels hohe Ziele gesetzt. Wie können Unternehmen diese erfüllen und dennoch wettbewerbsfähig bleiben?
Europa hat sich für die Zukunft tatsächlich große Ziele gesetzt. Bis 2030 will man 55% der Emissionen von Treibhausgasen senken (im Vergleich zu 1990) und schließlich langfristig innerhalb 2050 klimaneutral wirtschaften. Man möchte meinen, dass diese Zielsetzung nun das Wachstum in Europa gefährden könnte. Auch hier hat die EU eine klare Vorstellung, nach der es auch zukünftig Wachstum und mehr Wohlstand geben soll, jedoch entkoppelt von der Ausbeute von Ressourcen. Wachstum in Europa soll vielmehr darauf begründet werden, weltweit führend im Bereich der sauberen und nachhaltigen Technologien zu werden. Die Voraussetzungen hierfür sind in Europa besonders gut, da die europäischen Länder im weltweiten Vergleich eine sehr hohe Sensibilität für die Natur und die Umwelt hegen und damit auch den richtigen mindset mitbringen.
Wie ist hingegen die Situation in Ländern wie den USA oder China?
In diesen Ländern gibt es sehr viel mehr Gelder und Investoren und die Prozesse sind weit weniger komplex und bürokratisch als bei uns. Daher können wir häufig nur schwer mithalten, wenn es um Geschwindigkeit geht. Was Europa jedoch auch in Vergangenheit einen großen Wettbewerbsvorteil verschafft hat, ist der technologische Vorsprung von schwer kopierbaren Technologiefeldern.
Wie sieht es im Bereich der Environmental Social Governance – ESG, also dem Reporting zur Nachhaltigkeit, aus?
Was die ESG betrifft, so wird es mit der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die seit November 2022 in Kraft ist, für große Unternehmen nun notwendig, ein umfangreiches Sustainability Reporting einzuführen.
Auf die Frage hin, ob uns diese vielleicht durchaus rigide scheinende Entwicklung in Europa einen globalen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu anderen Ländern verschaffen wird, denke ich, dass dies in der kurzen Sicht vielleicht der Fall sein kann, langfristig jedoch nicht. Kurzfristig bringt dies in einem ersten Moment einen Mehraufwand mit sich. Mittel-/langfristig wird es jedoch sowohl zu Kostensenkungen führen (beispielsweise durch Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs in der Produktion), als auch zu Wettbewerbsvorteilen. Bereits heute zeichnet sich ab, dass nachhaltiges Wirtschaften bei der Auftragsvergabe immer häufiger belohnt wird. War früher bei Preisgleichheit die Qualität der ausschlaggebende Faktor für den Auftragszuschlag, wird dies in Zukunft immer mehr auch die Nachhaltigkeit sein.
Wie wird sich aufgrund dieser neuen Notwendigkeiten die Produktion ändern?
Die digitale Revolution ist bereits seit längerem voll im Gange, aber bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Revolution hinsichtlich Nachhaltigkeit hat gerade erst begonnen. Mit dem Konzept der Twin Transition, welche von der Europäischen Kommission propagiert wird, gehen wir in Richtung einer dualen Revolution, die sowohl Zielsetzungen hinsichtlich „Digital“ als auch „Green“ miteinander verbindet. Dabei spielt die Digitalisierung häufig eine verstärkende Funktion für ein nachhaltigeres Wirtschaften. Digitalisierung wird künftig nicht nur mehr dazu genutzt werden, um effizienter und effektiver zu produzieren, sondern auch nachhaltiger. Produkte werden in Zukunft nicht nur noch mit einem Preisschild ausgewiesen werden, sondern mit zunehmender Bedeutung auch mit einer Indikation über den Grad an Nachhaltigkeit. Heute wird dies häufig am CO2-Fußabdruck festgemacht.
Produktionsseitig bedeutet das, dass wir uns künftig sehr viel stärker damit auseinandersetzen werden, wie wir von einer linearen Herstellung auf zirkuläre Herstellprozesse wechseln können und Nachhaltigkeit datentechnisch messen, monitoren und Schritt für Schritt verbessern können. Zudem wird das Thema Energieeffizienz (unabhängig von der derzeit verstärkenden Wirkung der Energiekrise) deutlich relevanter werden und energieintensive Produktionsanlagen werden ersetzt oder technisch überholt werden. Gleichzeitig werden Produktionsanlagen flexibler werden, um ihren Lebenszyklus zu verlängern und die Anlage (oder Teile davon) nach ihrer Erstbestimmung auch weiterhin für andere Produkte nutzen zu können. Hersteller im Maschinenbau müssen verstärkt den Einsatz des Recyclinggrads, also den Anteil an recycelten Materialien, die in der Maschine verbaut sind, ausweisen.
In welche Bereiche der Produktion und der industrienahen Dienstleistungen müssen wir investieren, um nicht ins Hintertreffen zu geraten?
Besonders im B2C Bereich sehe ich großes Potenzial für mehr Kreislaufwirtschaft. Die Endkunden sind heute viel sensibler auf Nachhaltigkeitsthemen anzusprechen als noch vor zehn Jahren. Daher können insbesondere in diesen Industriebereichen auch neue Käuferschichten erreicht werden, indem Produkte nachhaltiger designt und gestaltet werden und Materialien durch Upcycling ein neues Leben als höherwertiges Produkt erhalten können.
Neben der nachhaltigeren Gestaltung von industriellen Herstellungsprozessen wird zudem auch die Abfallwirtschaft eine ganz neue Bedeutung erhalten. Beispiel hierfür sind Trends in Richtung professioneller Demontage von Produkten und neue Geschäftsbereiche hinsichtlich „refurbishment“ (Überholung) und damit eine Wiedereinführung in den Nutzungszyklus. Auch große Anbieter wie Amazon haben mit Amazon Renewed auf diesen Trend reagiert und erkannt, dass eine zunehmende Käuferschicht lieber ein instandgesetztes Produkt als ein neues Produkt kauft.
Südtirol muss innovativ sein, um eine wettbewerbsfähige Industrie zu haben: Wie können KI, Digitalisierung und Nachhaltigkeit dazu beitragen, eine Vorreiterrolle zu übernehmen?
Als Region haben wir in den vergangenen Jahrzehnten fast nie durch niedrige Personalkosten oder reiche Rohmaterialvorkommen punkten können. Die Stärken Südtirols liegen anderswo. Wenn man sich die meisten lokalen hidden champions ansieht, dann ist es meistens eine Kombination von Fleiß, Zuverlässigkeit, Qualifikation, Tüftlertum und langfristig orientiertem Unternehmertum, die den Erfolg ausmachen. Was künftig dazu kommt ist sicherlich eine Öffnung in Richtung strategische Partnerschaften nach außen. Viele der Unternehmen haben Innovation bislang vor allem intern betrieben. Die zunehmende Komplexität am Markt macht es aber immer schwieriger für Unternehmen, diese Art von Innovation weiterhin zu betreiben. Man kann nicht alles selber am besten und sollte sich daher gezielt Hilfe von außen suchen und sich darin qualifizieren, der Beste im Zusammensetzen der Puzzle-Teile zu einem großen Ganzen zu sein. Der NOI Techpark, die dortigen Forschungsinstitutionen, die Universität… all dies sind wertvolle Inputs für die hiesigen Unternehmen, die es gilt, in Zukunft gekonnt zusammenzuführen. Damit soll den Unternehmen ein ganz neues Qualitätslevel an Innovation ermöglicht werden.